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Das System der doppelten Buchführung wird auf das Jahr 1494 datiert. Es ist aber tatsächlich älter, denn in jenem Jahr ist in Florenz lediglich ein Buch erschienen, das die Buchhaltung der venetianischen Kaufleute beschrieben hat. Es stellt sich die Frage, ob bzw. wie das System der doppelten Buchführung von 1494 nach immerhin 520 Jahren durch ein neues System ersetzt werden
kann, das die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung nach § 238 HGB mit den aktuellen technischen Möglichkeiten verbindet.

Vor diesem Hintergrund wurde Prof. Dr. Werner Müller mit Beschluss des Fachbereichsrats des Fachbereichs Wirtschaft der Fachhochschule Mainz vom 9. April 2014 nach § 53 Abs. 1 HSchG-RLP einstimmig die Zusstimmung für die Freistellung zur Durchführung eines besonderes Forschungsvorhabens von seinen Lehr- und Prüfungsverpflichtungen für das Wintersemester 2014/15 erteilt. Der Titel seines Forschungsprojekts ist:

Buchhaltung ohne Buchhalter –
Organisation des Rechnungswesens virtuell tätiger Unternehmen


Die Forschungsfrage lautet:
Können die Abläufe im Zusammenhang mit der Buchführung und Bilanzierung eines virtuell arbeitenden Unternehmens so vollständig in einem Gutachten i.S.d. § 6 Nr. 1 StBerG beschrieben werden, dass sich die Buchführung anschließend auf rein mechanische Arbeitsgänge i.S.d. § 6 Nr. 3 StBerG reduzieren und anschließend vielleicht sogar durch Makros automatisieren lässt?


Die Fragestellung kann für Verkaufsplattformen im Internet von besonderem Interesse sein. Immer häufiger wird z.B. eine Ferienwohnung im Internet gebucht oder dort eine Pizza bestellt. Lt. „Wirtschaftswoche“ (Andreas Dörnfelder, Pizzavermittler erhöhen Provisionen, 31.08.2013, http://www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/lieferdienste-pizzavermittler-erhoehenprovisionen/8720426.html) verfügen die drei größten Online-Vermittler für Pizza-Lieferdienste, Lieferando.de, Pizza.de und Lieferheld.de zusammen über 95 % Marktanteil. Diese marktbeherrschende Stellung haben sie im Sommer 2013 ausgenutzt, um ihre Provisionen drastisch zu erhöhen und die Lieferdienste damit in wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu bringen.


Weitere Berichte hierzu gibt es unter:
http://www.golem.de/news/online-lieferdienste-mehr-provision-pro-pizza-1309-101309.html
http://www.internetworld.de/Heftarchiv/2013/Ausgabe-19-2013/Satte-Preiserhoehung
http://www.geektown.de/online-lieferanbieter-fordern-hohere-provisionen-von-bringdiensten

Wegen der zunehmenden Bedeutung des Internets bei der Akquisition von Aufträgen von Privatleuten kann sich das geschilderte Ereignis aber auch in anderen Branchen wiederholen. Ein Strategie hiergegen könnte sein, wenn sich eine Branche ihre eigene Vertriebsplattform organisiert, z.B. über eine Genossenschaft.

Als Szenario des Forschungsprojekts soll unterstellt werden, dass in einem Skigebiet private Fremdenzimmer mit einer solchen Konstruktion im Internet angeboten werden sollen. Die Gewinne aus der Vermittlung würden dann über eine Umsatzrückvergütung an die Genossenschaftsmitglieder ausgeschüttet. Dieses Unternehmen würde virtuell arbeiten, d.h. ohne eigenes Personal und eigene Räume. Es würde dann aber vor dem Problem stehen, dass nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 StBerG „die Hilfeleistung bei der Führung von Büchern und Aufzeichnungen sowie bei der Aufstellung von Abschlüssen, die für die Besteuerung von Bedeutung sind...“ nur von Steuerberatern geleistet werden darf. Damit würden die Verwaltungskosten dieser virtuell tätigen Unternehmen sehr verteuert.

Die Lösung könnte aber in § 6 StBerG liegen, wonach lt. Nr. 1 „die Erstattung wissenschaftlich begründeter Gutachten“ und nach Nr. 3 „die Durchführung mechanischer Arbeitsgänge bei der Führung von Büchern und Aufzeichnungen, die für die Besteuerung von Bedeutung sind“ vom Verbot der unbefugten Hilfeleistung in Steuersachen ausgenommen sind. Bei der Gründung einer Vertriebsplattform könnten in einem Gutachten nach Nr. 1 mit anhängenden Dateien die Buchhaltung weitestgehend vorstrukturiert werden und die Vorstände bzw. Geschäftsführer des virtuell arbeitenden Unternehmens nur noch Daten ausfüllen und danach lediglich mechnische Arbeitsgänge nach Nr. 3 auszuführen wären, die auch ein Bürodienstleister übernehmen dürfte.

In dem vorliegenden Forschungsprojekt soll ausschließlich diese Detailfrage geklärt werden, die aber für den Aufbau eines virtuell arbeitenden Unternehmens von zentraler Bedeutung ist. Diese Frage soll mit der wissenschaftlichen Methode des Experiments beantwortet und geklärt werden, wie diese Abläufe im Detail organisiert werden können. Dabei soll in groben Zügen wie folgt vorgegangen werden:

1. Es ist ein fiktives virtuell tätiges Unternehmen und sein Marktumfeld zu definieren.
2. Die Stammdaten-Organisation (Kontenplan, Kostenstellenplan) sind festzulegen
3. In dem Kontext des Marktumfelds sind die Geschäftsvorfälle vollständig zu definieren.
4. Für die regelmäßigen Geschäftsvorfälle werden Aufarbeitungen der aus der Vertriebsplattform erzeugten Datensätze und der Positionen der Bankauszüge in der Tabellenkalkulation entwickelt, aus der Datensätze mit den Buchungsssätzen für die Finanzbuchhaltung (FiBu) erzeugt werden.
5. Für Monats- und Quartalsabschlüsse, insbesondere Periodisierungen, werden in der Tabellenkalkulation Übersichten erzeugt und automatisiert in einem nicht in den Jahresabschluss einfließenden Kontenbereich verbucht.
6. Für die Bewertung von Vermögen und Schulden im Rahmen eines Jahresabschlusses werden Tabellen entwickelt, in denen die Vorstände bzw. Geschäftsführer ihre Bewertungen eintragen. Abschreibungen (wohl nur in Bezug auf Software relevant) können aus den Anschaffungskosten entwickelt werden, sofern keine außerplanmäßigen Abschreibungen erforderlich sind. Auch aus diesen Eintragungen werden Datensätze mit den Buchungsssätzen für die FiBu erzeugt werden.
7. Die nötigen Bedienschritte in der FiBu-Software, insbesondere für den Druck von Journalen, Konten und Auswerungen, werden in detaillierten Arbeitsanweisungen festgehalten, die auch von ungelernten Kräften reproduziert werden können.
8. Es sind Ansätze für das interne Rechnungswesen zu beschreiben. Weil dies nicht durch das StBerG reglementiert ist, sind die Einzelschritte nicht zu eng als mechanischer Arbeitsgang zu beschreiben.

Über den Fortschritt des Projekts soll auf der Website
http://prof-dr-mueller.jimdo.com/forschungsprojekt/ berichtet werden.

Vor über 11 Jahren wurde Prof. Müller von einem mittelständischen Softwarehaus eine voll einsatzfähige Buchführungssoftware für Lehr- und Forschungszwecke zur Verfügung gestellt. Eine Vorläuferversion war bereits in einem Unternehmen im Einsatz, dessen Geschäftsführung er vor 25 Jahren angehört hatte. Sie verfügt insbesondere über eine flexible Standardschnittstelle, mit der jede Art von Buchungssätzen eingelesen werden kann. Dieses Tool erscheint geeignet, eine fast vollständige Automatisierung der Buchhaltung einzuleiten.

Ließe sich die Forschungsfrage mit einem einfachen aber plausiblen und vollständigen Beispiel positiv beantworten, so wäre dies auch eine Vorlage für die mögliche Ausweitung auf andere Branchen (mit eigenem Personal und Räumen) mit relativ einfacher Ausgangslage. Mittelfristig würde die Frage aufgeworfen, ob bzw. wie das System der doppelten Buchführung von 1494 nach immerhin 520 Jahren durch ein neues System ersetzt werden kann, das die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung mit den aktuellen technischen Möglichkeiten verbindet. Mindestens als alterntives Verfahren für kleine und mittlere Unternehmen könnte das sinnvoll sein. Diese Frage kann lediglich aufgeworfen, in einem Forschungssemester aber nicht fundiert beantwortet werden.

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